Die Inneneinrichtung der Evangelischen Kirche zu Lienen in den letzten 192 Jahren (1803 – 1995)

von Klaus Gronenberg, Pfarrer i.R.

Anlässlich der Beendigung der Renovierungsarbeiten in der Lienener Kirche unternehmen wir einen Streifzug durch die Veränderungen der Inneneinrichtung der Evangelischen Kirche zu Lienen in den letzten 192 Jahren (1803-1995). Wir beginnen mit der Renovierung 1958.

Die Vorhalle oder Ehrenhalle der Kirche

Das Mahnmal an der östlichen Außenwand

In einem ersten Bauabschnitt dieser Renovierung baute Tischlermeister Wilhelm Berdelmann die neuen Holztreppen zu den Emporen ein. Die Seitenwände der Vorhalle wurden versetzt. Die Gedenktafelwand für die Gefallenen des 1. Weltkrieges blieb an ihrer Stelle in der Mitte der Halle. Die Westwand zum Turm wurde mit einem halben vorgesetzten Stein plan gemauert und verputzt. Die Decke der Vorhalle, zuvor ein unruhiges Balken- und Bretterwerk, gestalteten die Handwerker mit weißen Putzflächen zwischen den Balken ruhiger. An den neu geschaffenen Seitenwänden dieses Vorraums hingen nun die neuen holzgeschnitzten Gedenktafeln für die Gefallenen und Vermissten des 2. Weltkrieges. Einbezogen waren auch die Namen der ostdeutschen Gefallenen und Vermissten, deren Angehörige nach 1945 durch Flucht und Vertreibung nach Lienen gelangt waren. Der Lienener Kriegerverein unter Leitung von Lehrer Ludwig Liede, Holperdorp, und die Gemeindeverwaltung Lienen ermittelten in einer mehrmonatigen Befragungsaktion die Namen der Gefallenen und Vermissten. Der Verein brachte in einer die ganze Gemeinde erfassenden Spendenaktion die notwendigen Mittel für die Herstellung der Tafeln auf. Architekt Vits, Lienen, der das Außenmahnmal am Ostchor der Kirche entworfen hatte – Schüler der Lienener Volksschule unter Leitung von Rektor Schmidt schufen das Mosaik des Mahnmals – hatte auch eine vergrößerte Ehrenhalle entworfen, die dann aber wesentlich weiter in das Kirchenschiff hineingeragt hätte. Zur Verwirklichung dieses Planes kam es nicht, weil sich das Presbyterium nicht zu einer solchen walhallartigen Halle verstehen konnte und die Pläne ablehnte. Es blieb bei den bisherigen Maßen der Vorhalle.

Das Kirchenschiff

Eines der beiden Reliefs aus dem Kloster Hardehausen

Im Kirchenschiff wurde der Leimfarbenanstrich bis auf den Putz entfernt. Verputz und Neuanstrich mit Sumpfkalkmörtel bestimmten das neue Bild. Für die Kirchenbänke wurden etliche Farbproben gesetzt. Der bisherige dunkelbraune Anstrich des Fichtenholzes sollte durch neue, helle Farben ersetzt werden. Die beiden frühbarocken Reliefbretter, die bisher über der Presbyter- und der Pfarrerbank angebracht und dunkelbraun gestrichen waren, wurden zum Landesdenkmalamt nach Münster gebracht, etliche Zeit später dort restauriert und dann unter den beiden Chorfenstern angebracht. Nach Beseitigung des braunen Farbanstrichs durch die Restauratoren kamen die ursprünglich hellen Barockfarben der aus dem Kloster Hardehausen stammenden Reliefbretter wieder zum Vorschein. 1803 waren sie mit einem Teil der Hardehausener Orgel in fünf Fuhren nach Lienen geschafft worden. Auch die Posaunenengel und die Engelköpfe an der Ehrentafel für die Gefallenen des 1. Weltkrieges stammten aus Hardehausen. Allerdings erhielten die Reliefbretter von den Restauratoren nicht den ganz originalen Barockanstrich, sondern hellgraue und goldene Farben.

Einer der beiden Engel aus dem Kloster Hardehausen

In den zurückhaltend, ja sachlich wirkenden Chorraum brachten die pausbäckigen Engel, die Weinreben und Akanthusranken einen Hauch barocker Lebensfreude. Bei der Renovierung 1995 wurden hölzerne Girlandenteile und Blumen, die auch zu den aus Hardehausen stammenden Verzierungen zu rechnen sind, in dem Hohlraum zwischen Deckenkehle und Außenwand gefunden. Der Gesamteindruck des Kirchenschiffs mit farblich leicht abgesetzten Deckenprofilen und der etwas dunkler gehaltenen Deckenkehle war, wie Experten später bestätigten, recht geschlossen.

Die Orgel nach der Kirchenrenovierung 1995

Da 1958 eine neue Orgel noch nicht zur Debatte stand und die entsprechenden Mittel noch nicht vorhanden waren, wurde das neugotische Orgelgehäuse farblich der Empore angeglichen. 1969 entwarf Professor Reuter das Orgelgehäuse der neuen Orgel. Hauptwerk, Pedal und Rückpositiv erhielten ihre vier eigenen turmartigen Gehäuse. Lienener Handwerker bauten sie. Die Orgel mit Windwerk, Pfeifenwerk, Regierwerk und 19 Registern schuf die Firma Steinmann, Vlotho-Wehrendorf. Am Sonntag, dem 22.02.1970, weihte sie Superintendent Rübesam in einem Festgottesdienst ein. Die Einrichtung der Bänke blieb 1958 unverändert bis auf einen neuen Quergang hinter den Bankreihen des Mittelblocks. Im großen und ganzen war die 1875/76 vorgenommene Einrichtung der Bänke unverändert geblieben. Kirchenmaler Bußmann aus Levern beriet 1958 die Lienener Maler-Arbeitsgemeinschaft mit den Firmen Wilhelm Gersie, August Horstmeier und Gottfried Schwermann. Rendant Gottfried Blom arbeitete zusammen mit dem Presbyterium die Finanzierungspläne aus und sorgte in vorausschauender Weise für die Bereitstellung der Eigenmittel der Kirchengemeinde.

Wappensteine, Fenster

Einer der ursprünglich in der Südwand angebrachten - und inzwischen dorthin zurückgekehrten - Wappensteine

Die vom Presbyterium 1958 gewünschte und vom Landesdenkmalamt befürwortete Herausnahme der Wappensteine aus der Südwand der Empore gestaltete sich damals schwierig, wie mir noch Friedrich Schwermann, der an den Arbeiten beteiligt war, bestätigte. Als die Steine herausgenommen waren, stellten wir erstaunt fest, dass hier die Steinbildhauer alte Grabplatten aus dem Anfang des 17. Jahrhunderts verwandt hatten. Mit dem Datum 12. September 1605 der Grabplatte auf der Rückseite des Wappensteins von 1707 ist das älteste Schriftzeugnis in der Lienener Kirche gegeben, denn die Glockeninschriften stammen aus den Jahren 1622, 1637 und 1663. Auf den Text dieser Steine bin ich an anderer Stelle ausführlich eingegangen. Der Maurer Friedrich Hilgemann aus Höste mauerte 1958 die Löcher wieder zu, die in der Südwand der Empore durch die Entnahme der Steine entstanden waren.

Die Fensterlaibungen und das Maßwerk der Fenster des Kirchenschiffs mussten restauriert werden. Für eine völlige Neugestaltung der Kirchenfenster fehlten die Mittel, zumal sie bis auf die Chorfenster Ende der vierziger Jahre neu verglast waren.

Kanzel, Altar

Dass die neugotischen 1875/76 geschaffenen Schnitzarbeiten über dem Presbytergestühl, der Pfarrerbank und auf dem Kanzeldeckel auf Wunsch des Landesdenkmalamtes beseitigt wurden, um den klassizistischen Charakter des Kirchenschiffs stärker hervorzuheben, bedeutete für manches Gemeindeglied den Verlust altvertrauten Kircheninventars. Die Expertise des Landeskonservators hatte 1958 wenig pietätvoll, jedoch sachlich von der „Laubsägearchitektur am Schalldeckel“ und von der „pseudogotischen Vertäfelung hinter der Kanzel“ gesprochen. Es ist immerhin bemerkenswert, dass auch der Geschmack eines Denkmalamtes von Zeiteinflüssen nicht unberührt bleibt, wurde doch Jahre später die „Erhaltung neugotischen Zierats“ bei der Restaurierung anderer Kirchen wieder gefordert. In der angezogenen Expertise des Landesdenkmalamtes ist auch zu lesen: „Der Altar müsste einmal durch einen formschönen ersetzt werden." Das mag – mit den Augen des Experten gesehen – richtig sein, übersieht aber, dass dieser Altar seinerzeit von einheimischen Handwerkern angefertigt und mit Schnitzwerk des Pfarrers Julius Gottfried Kriege, geboren am 30.11.1835 zu Lienen (als Pfarrer 1861-1902 in Ladbergen tätig), versehen war. Derselbe hat seinerzeit auch das Bibelpult des Altars und die Kanzelrückwand geschnitzt.

Die Inneneinrichtung der Kirche 1803 und 1875/76

Die Orgelempore nach 1875

Rufen wir uns noch einmal den Zustand der Kirche in den genannten Jahren ins Gedächtnis. Der Haupteingang der Kirche befand sich seit dem Neubau 1803 in der Mitte des Ostchores gegenüber dem „Hohen Haus“. Heute steht die Kanzel an dieser Stelle. Im Ostchor war auch die Orgelempore, die sieben Bankreihen umfasste, also recht tief ins Kirchenschiff hineinragte. Diese Orgelempore erreichte man über eine steile Treppe, die links, also südlich vom Osteingang in der Kirche lag. Pastor Thiemann äußerte schon in den zwanziger Jahren die Vermutung, dass die Holzsäulen, die bei der Neubestuhlung der Lienener Kirche 1875/76 unter den Fußbodenbrettern gefunden wurden, diese Orgelempore von 1803 getragen hätten. Die Säulen waren mit einfachem Zierrat versehen. Zwei solcher Säulen waren ja an der Westwand der Vorhalle zu sehen. Auch kamen solche Holzsäulen (Balken) bei der Renovierung 1996/95 unter den Fußbodenbrettern wieder zum Vorschein.

Blick zur Ostseite vor 1958

Die Nord- und Südempore (von 1803) gingen über die ganze Länge des Kirchenschiffs. Auf die Nordempore gelangten die Gottesdienstbesucher über eine Treppe, die innen nördlich der Osteingangstür lag. Am Westende des Kirchenschiffs waren damals zwei Emporen übereinander, wie wir sie auch von der Lengericher Stadtkirche bis 1956 kannten. Die obere Empore wurde in Lienen „Singebühne“ genannt, weil von dort aus die Schulkinder bei der Konfirmation aus dem Heft „Lieder zur Confirmationsfeier" (von Pastor E.H.G.Hasenkamp 1831 herausgegeben, neu aufgelegt 1924) sangen. Ich habe es noch erlebt, dass die Schulkinder unter Rektor Schmidts Leitung Ende der 50er Jahre aus diesem „blauen Liederheft“ von der Orgelempore aus sangen. – Die Kirche von 1803 bot zwar vielen Besuchern Platz, war aber durch die vielen Emporen erheblich zugestellt. Die Kanzel war an der Südwand, östlich der Süd- oder Brauttür. Der Altar befand sich in der Mitte des Kirchenschiffs, und die Bankreihen waren alle mit Blickrichtung zur Kanzel aufgestellt. Pläne dieser Einrichtung des Kirchenschiffs von 1803 sind vor einigen Jahren aufgetaucht. Diese Pläne stellen Kanzel und Bankreihen allerdings spiegelverkehrt dar.

Blick zur Ostseite nach 1958

Erst 1875/76 erhielt die Kirche mit einer neuen Inneneinrichtung die Bankreihen, die uns bis heute vertraut sind. 1875 wurde der Osteingang des Kirchenschiffs zugemauert, Kanzel und Altar kamen in den Chorraum, die Ostempore verschwand, die Orgel wurde auf der Westempore aufgestellt. Die Emporen ruhten nun auf gusseisernen Säulen. Im Chorraum befanden sich jetzt Presbyter- und Pfarrerbank, sowie zwei Bankblöcke mit Ausrichtung auf den Altar beiderseits des Altars. Für die Mitte des Kirchenschiffs wurde ein geschlossener Bankblock eingerichtet, der allerdings aus feuerpolizeilichen Gründen in der Mitte eine Trennwand in Bankrückenhöhe erhielt. Zwei Gänge führten beiderseits des Mittelblocks zum Chorraum. Je ein Bankblock kam unter die Süd- wie unter die Nordempore. Sieht man von dem 1969 geschaffenen Quergang hinter dem Mittelblock der Bänke ab, so hat sich die Einrichtung des Kirchenschiffs bis 1994 gehalten und bestimmt mit gewissen Veränderungen (andere Treppenführung zu den Emporen, vergrößerte Vorhalle) auch das gegenwärtige Bild.

Fazit

Alles in allem machen diese Renovierungs- und Restaurierungsarbeiten, die Umbauten und Neubauten im Zeitraum von fast 200 Jahren deutlich, dass auch eine Kirche als Gebäude so etwas wie ein lebender Organismus ist. Dort, wo diese Arbeiten mit Sachkenntnis, unter Wahrung der geschichtlichen und kunstgeschichtlichen Belange und unter Berücksichtigung organisch gewachsener Strukturen geschehen, wird das Gotteshaus KIRCHE ein Ort innerer und äußerer Geborgenheit und „Schiff der Gemeinde“ sein. Gerade die geschichtlichen Zeugnisse dieser Kirche erinnern uns daran, dass die Kirche nie außerhalb oder neben der Welt, sondern Kirche in der Welt ist.

Ein solcher Rückblick angesichts gegenwärtiger Aufgaben sollte die Heimgerufenen mit einbeziehen, die an dieser Kirche gearbeitet haben. Es sind die Malermeister Wilhelm Gersie, August Horstmeister, Gottfried Schwermann, der Maler Emil Krüger, der Maurer Friedrich Hilgemann, die Bauunternehmer Otto Großmann, Gottfried Dölling, R. Meyer, das Küsterehepaar Wilhelm und Anna Minneker, Wilhelm Driemeier, die Organistin Florentine Niederhellmann, die Kirchmeister Wilhelm Horstmeier, Wilhelm Berdelmann, Ewald Barkmann, die Pastoren Otto Smend und Heinrich Homrighausen, die vielen Presbyter und Presbyterinnen und die große Zahl der heimgerufenen Gemeindeglieder.

Für die vergangenen Arbeiten wie für die zukünftigen Arbeiten an dieser Kirche mag jener Balkenspruch des Tecklenburger Landes gelten: „Laßt am guten Alten uns in Treue halten. Aber auf dem alten Grunde Neues wirken jede Stunde.“