Die Evangelische Kirche Lienen

Die folgenden Texte und Fotos stammen aus der Broschüre „Kirchwege Kirchräume – Kirchen entdecken im Tecklenburger Land“. In den Texten von Dr. Gabriele Böhm und Dr. Wilhelm Wilkens wird die Evangelische Kirche Lienen beschrieben und mit Fotos von G. Böhm illustriert. Wir danken für die freundliche Genehmigung, die Texte und Fotos als Vorlage für unsere Homepage zu benutzen.

Die Lienener Kirche von Nordwesten

Baugeschichte

Ausgrabungen wiesen an Stelle der heutigen Kirche eine vor dem 12. Jahrhundert erbaute Vorgängerin nach. Jedoch ist bereits für das 9. Jahrhundert eine (Holz-)Taufkapelle mit umliegendem Friedhof zu vermuten. Der heutige romanische Turm gehört zu einem Bau des 12. Jahrhunderts und stellt die älteste noch sichtbare Bausubstanz dar. 1737 stabilisierte man ihn mit Strebepfeilern (1). Um 1350 entstand eine gotische Kirche. 1706/07 wurde sie durch einen nach Norden und Osten erweiterten Neubau ersetzt, von dem die West- und die Nordwand mit ihren Rundbogenfenstern erhalten sind. Da das Gewölbe die Südwand wegdrückte, wurde 1802 das heutige Schiff mit einer erheblichen Verlängerung nach Osten erbaut. Die neue Südwand erhielt spitzbogige, neogotische Fenster. Den Hauptzugang verlegte man in die Mitte des Ostchores, in dem auch die Orgelempore angebracht wurde. Im Westen lagen zwei Emporen übereinander, weitere ruhten an der Nord- und Südwand auf gusseisernen Säulen. Wie in der Kirche von 1706/07 blieb die Kanzel an der Südwand mit auf sie ausgerichtetem Abendmahlstisch und um sie gruppierter Bestuhlung nach Art einer reformierten Predigtkirche. Neu eingezogen wurde die verputzte Holzbalkendecke. 1875/76 erhielt die Kirche innen im Wesentlichen ihre heutige Gestalt: Der Osteingang wurde vermauert, die Ostempore verschwand, die Orgel wurde auf die Westempore versetzt, Kanzel und Altar kamen in den Chorraum. Die Mitte des Schiffs versah man mit einem Bankblock, aus feuerpolizeilichen Gründen mit einer Trennwand versehen. 

Gemeindesaal

1991-97 erfolgte unter Pfarrerehepaar Bethlehem eine Restaurierung und zurückhaltende Anpassung an moderne Erfordernisse. Begleitet durch Prof. B. Hirche (Hamburg) entstand im Westen der Kirche durch eine Glas-Stahl-Konstruktion ein leicht zu beheizender Gemeindesaal. Eine durchdachte Beleuchtung macht das Kirchenschiff dennoch in seiner Gesamtheit erfahrbar (2).

Raum der Stille

Durch die Verlegung der Emporenaufgänge konnte der romanische, 1802 vermauerte Durchgang zwischen Kirchenschiff und Turm wieder geöffnet werden. Hier entstand ein Raum der Stille. Der Fußboden besteht aus alten Gewölbesteinen. Der Turmraum war bis 1588 Taufkapelle mit Taufstein in der Mitte, der mit Einführung der reformierten Kirchenordnung in den Chor gesetzt werden musste. Heute befindet sich unter einer Glasplatte ein Glasgefäß mit Jordanwasser (3).

Kanzel und Altar

Auch nach der Einführung der Union (1835) wurde die für die reformierte Tradition charakteristische Überordnung der Kanzel über den Altar beibehalten. Die Altarinschriften erläutern die Bedeutung des Abendmahls, des christlichen Glaubens und der Taufe. In die Brüstung hinter dem Altar arbeite man 1995 zwei Paneele (17. Jh.) ein (4).

Rundfenster über der Kanzel

Das Rundfenster zeigt ein Kreuz im Strahlenkranz und eine Inschrift in griechischen Buchstaben. Sie erinnert an den römischen Kaiser Konstantin, der unter dem Kreuzzeichen („In diesem Zeichen wirst du siegen.“) siegreich aus einer Schlacht (312 v. Chr.) hervorging und der erste christliche Kaiser wurde (5).

Neue Elemente

1995 schuf man durch ein modernes Lesepult, einen Osterkerzenleuchter, einen Altaraufsatz und eine Ergänzung des Schalldeckels der Kanzel in filigranen Stahlkonstruktionen eine stilistische Verbindung zum neuen, aus Glas und Metall aufgebauten Kirchsaal (6).

Engel

Aus dem säkularisierten (aufgelösten) Kloster Hardehausen (Warburg) kamen 1803 zwei Posaunenengel (Chor), Engelköpfe an der Gefallenen-Gedenktafel (1. Weltkrieg) sowie zwei frühbarocke Reliefbretter (Orgelempore) nach Lienen. 1995 wurden die Reliefs durch weitere Teile, die man zwischen Deckenkehle und Außenwand fand, ergänzt (7).

Kronleuchter

Die vier heute elektrifizierten Flandrischen Leuchter stammen aus dem 17.-19. Jahrhundert. Eine Stifterinschrift (1864) bezieht sich auf Familie Kriege, der auch der Lienener Pfarrer H. Kriege entstammte. Ein anderer Leuchter zeigt eine Figur des Christus Salvator Mundi (Retter der Welt) mit der Erdkugel (8).

Fenster

Die Verglasung der Schiffsfenster stammt vom Ende der 1940-er Jahre und zeigt in den Spitzbogenfenstern der Südseite Strahlenkreuz, Chrismon mit den griech. Buchstaben X (Chi) und P (Rho) für „Christus“, Taube, Lutherrose und Anker. Die Verglasung der beiden Chorfenster aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts schmücken Weinranken (9).

Wappensteine

Von 1706 (Wappen der Tecklenburger Grafen) und 1707 (preußischer König Friedrich) stammen die prachtvoll gearbeiteten Gedenktafeln über der Südempore, die an den Verkauf der Grafschaft 1707 erinnern. Beide Reliefs wurden in die Rückseite von Grabsteinen des 17. Jahrhunderts gemeißelt (10).

Steintafeln als Zeugnisse

Zahlreiche Steintafeln dienen als historische Quellen. Über dem Nordportal nennt eine Inschrift (1703) Pfarrer A. Th. Snethlage, seinen Sohn und den Vogt R. Krafft. Fünf Steine an den Portalen, darunter der Grundstein vom 13. Juli 1802, und an der äußeren Chorwand erinnern an den Umbau 1803 (11). 

Orgel

1808 baute der Orgelbauer Mügge (Osnabrück) eine Orgel aus dem eingeschmolzenen Pfeifenmaterial der großen Orgel des aufgelösten Klosters Hardehausen (Warburg). 1969 fertigte die Firma Steinmann (Vlotho) die heutige Schleifladenorgel unter Verwendung älterer Teile. Lienener Handwerker bauten das Gehäuse nach einem Entwurf von Prof. R. Reuter (12).

Turm

1995 wurde im Turmerdgeschoss ein Meditations- und Gottesdienstraum eingerichtet. Der Turm zeigt im Obergeschoss romanische Säulen mit Blatt- und Würfelkapitellen, die wohl später eingesetzt oder erneuert wurden. Die Zifferblätter der Einzeiger-Uhren stammen aus der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts (13).

Glocken und Uhrwerk

Die Glocken von 1622 („Pingelglocke“), 1637 („Sonntagsglocke“) und 1663 („Totenglocke“) wurden 1999 durch zwei kleinere Glocken ergänzt. Außen am Turmhelm ist der Ausbau der Uhrschlagglocke zu sehen. Das Uhrwerk (1935) stammt von Fa. Korfhage (Buer/Melle) und ersetzte das alte Uhrwerk von 1825 (J. H. Howe, Lengerich) (14).